Alkoholproblemen

Alkoholismus als Familienkrankheit

Die Angehörigen sind mitbetroffen

Ist ein Familienmitglied alkoholabhängig, leidet die ganze Familie mit. Was wird nicht alles getan, um den Alkoholkonsum des Abhängigen unter Kontrolle zu bringen? Dabei werden die verschiedensten Methoden angewandt – wegschütten oder verstecken der alkoholischen Getränke, suchen nach heimlichen Alkoholvorräten, mittrinken, bitten, versprechen, fordern, schimpfen, drohen, beschuldigen. Die Versuche der Familie den Alkoholismus eines Familienmitgliedes in den Griff zu bekommen, bestimmen immer mehr das gesamte Denken, Fühlen und Handeln der Familie. Es werden ständig neue Versuche unternommen, immer neue Hoffnungen geweckt und zugleich neue Enttäuschungen erlebt. Der Alkoholismus des Betroffenen wird zum Mittelpunkt der Familie. Die Gefühle der Familienmitglieder sind denen des Abhängigen sehr ähnlich, auch sie fühlen sich hilflos, schuldig und frustriert. Hinzu kommt eine gewaltige Portion Ärger und Wut, denn alle Bemühungen führen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Änderungen sind meist nur von kurzer Dauer uns alsbald beginnt das Spiel von Neuem.

Eine ehemalige Co-Abhängige fasste dies folgendermaßen in Worte: "Ich dachte immer ich müsste meinen Mann vom Alkohol wegbringen. Dabei bemerkte ich nicht, wie ich selber immer mehr in süchtiges Verhalten fiel. Mein Partner hatte den Alkohol im Körper, ich hatte den Alkohol im Kopf - aber den, den er getrunken hat oder trinken wird. Meine Gedanken kreisten permanent um den Alkohol: Wird er wieder trinken? Was erwartet mich zu Hause, wenn er betrunken ist? Wo hat er den Stoff versteckt? Ich habe nur noch an ihn und seine Sucht gedacht, nicht mehr an mich. Ich wusste ganz genau, was gut für meinen Mann war. Er sollte aufhören zu trinken, damit es mir und der Familie besser ginge. Leider ist dieses Konzept nicht aufgegangen. Heute habe ich erkannt, dass ich nicht an seinem Trinken schuldig bin und auch nichts daran ändern kann. Mein Partner muss trinken, er wird nicht wegen mir aufhören. ABER: Ich kann was für mich tun, denn ich bin der einzige Mensch, den ich ändern kann."

Phasen der Co-Abhängigkeit in der Familie/Partnerschaft

Genauso wie es Phasen der Alkoholkrankheit gibt, gibt es Phasen der Co-Abhängigkeit. Wir haben diesen Verlauf der Co-Abhängigkeit einmal grob aufgeteilt.

Anfangsphase

Die Angehörigen verleugnen ebenso wie Betroffene das Alkoholproblem

  • Erste Ahnungen, dass der Angehörige zuviel trinkt.
  • Ermahnungen, weniger zu trinken
  • Übernahme von Verantwortung bei Schwierigkeiten durch Alkohol
  • Erste Entschuldigungen und Ausreden für den trinkenden Angehörigen
  • Gespräche über den Alkoholkonsum werden schwieriger

Kritische Phase

Das Problem ist so offensichtlich, dass es nicht mehr unterdrückt werden kann. Die Angehörigen fordern vom Alkoholkranken, dass er mit dem Trinken aufhört. Der Betroffene kann dieser Forderung nicht nachkommen. Es kommt zu Vorwürfen, die den Abhängigen immer weiter in die Sucht treiben.

  • Zweifel an der eigenen Beobachtungsgabe, Unsicherheit bei der Situationsbeurteilung
  • Verstärkte Versuche, dem Betroffenen zu "helfen"
  • Co-Alkoholisches Verhalten z.B. durch kontrollieren etc.

Akute Phase

Die Alkoholkrankheit lässt sich vor der Umwelt nicht mehr verheimlichen. Es werden nur noch kurzfristige Ziele gesetzt, z.B. "Trinke wenigstens nicht, wenn heute Besuch kommt" etc. Die Familie treibt sich zunehmend selbst in die soziale Isolierung.

  • Drohungen, ohne Konsequenzen zu ziehen
  • sozialer Rückzug
  • Sämtliche Verantwortungen und Pflichten des Betroffenen werden übernommen

Die Kapitulation

Jetzt werden Anstrengungen unternommen, der Problematik zu entrinnen

  • Anerkennung, dass man das süchtige Trinken nicht direkt ändern kann
  • Erkenntnis des eigenen Fehlverhaltens und unerfüllter Bedürfnisse
  • ernsthafte Trennungsabsichten, die evtl. in die Tat umgesetzt werden
  • lernen "loszulassen" und erkennen, dass man gegenüber der Alkoholkrankheit des Partners/Angehörigen machtlos ist

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Kinder von Alkoholkranken

"Das Kind bemerkt doch nichts!" Diese Auslegung vieler Eltern und Erziehungsberechtigter ist ein fataler Irrglaube! Kinder bekommen mehr mit, als man denkt. Kinder können ihre Ängste und Nöte nicht so zum Ausdruck bringen, wie Erwachsene das tun können. Sie leiden still. Kinder können sich keine neuen Eltern suchen, sie sind auf die Liebe und Versorgung angewiesen, bis sie selbst stark genug sind. Leider werden gerade in einer Familie mit Alkoholproblemen Zuwendungen an Bedingungen geknüpft. Das Kind versucht, diese Bedingungen zu erfüllen, damit es Liebe und Zuneigung erhält. Auf diese Weise lernt das Kind schon frühzeitig, sich co-alkoholisch zu verhalten.

Gerade Kleinkinder merken, dass etwas nicht stimmt, aber sie können es (noch) nicht richtig einordnen. Ältere Kinder leiden bewusster, auch wenn sie sich darüber nicht äußern. Erkannt wird dies meistens erst, wenn es zu schwerwiegenden Verhaltensstörungen kommt, die nicht auftreten müssen, aber häufig auftreten können. Wenn es in der Familie ein Alkoholproblem gibt, haben Kinder kaum Chancen, sich darüber auszusprechen. Viele Kinder versuchen ihre Eltern (besonders den trinkenden Elternteil) in Schutz zu nehmen. Häufig schämen sich diese Kinder so sehr, dass sie keine Gleichaltrigen mit nach Hause bringen und sich dadurch zusätzlich isolieren.

Eine Erwachsene aus einer Alkoholikerfamilie dazu: "Als ich klein war, habe ich sehrwohl gemerkt, dass mit meiner Mutter etwas nicht stimmt. Erst als eine Freundin (deren Vater Alkoholiker war) zu mir sagte, deine Mutter säuft, wurde mir klar, was los war. Ich wusste nie, was mich zu Hause erwartet. Deswegen habe ich auch möglichst keine Freunde mit nach Hause gebracht. Einmal wurde ich mit Liebe überschüttet, dann wieder gab es grundlos Prügel. In der Familie wurde es mir verboten, über das Problem zu sprechen, nach außen wurde schlicht und einfach alles totgeschwiegen. Wenn ich für meine Mutter einkaufen musste, da sie dazu zu besoffen war, musste ich beim Kaufmann immer sagen, dass der Wein für meine Mutter `zum Kochen` gebraucht wird. Bloß nichts nach außen dringen lassen – das war die Devise. Ich selber habe mich auch nicht getraut darüber zu sprechen, da es ja verboten war und ich mich zutiefst geschämt habe."

Kinder aus Familien mit Alkoholproblemen entwickeln regelrechte Überlebensstrategien für sich, dabei verlieren sie aber etwas ganz Entscheidendes, nämlich ihre eigene Kindheit. Sie übernehmen unbewusst "Rollen" um das Familienleben wieder in die Balance zu bringen.

  • Das "Heldenkind" übernimmt Aufgaben der Erwachsenen (z.B. Haushaltsarbeiten). Es ist leistungsorientiert, überverantwortlich, es braucht Zustimmung und Anerkennung von anderen.
    Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Workaholic, kann Fehler oder Misserfolg nicht ertragen, zwanghaftes Verhalten, kann nicht "nein" sagen, sucht sich später einen suchtmittelabhängigen Partner. Übertriebene Verantwortlichkeit, extreme Zuverlässigkeit auch wenn diese nicht angebracht ist.

  • Der "Sündenbock" fällt negativ auf, beispielsweise durch schlechte Schulleistungen, Aufsässigkeit oder Straftaten. Dieses Kind lenkt die Familie von den eigentlichen Problemen ab. Das Fehlverhalten ist aber nichts anderes als ein Hilfeschrei.
    Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Suchtkrankheit, Straffälligkeit, Teenager-Schwangerschaft sowie allgemeine Lebensprobleme. Verantwortungsloses Verhalten.

  • Das "verlorene Kind" wird zum Einzelgänger, fühlt sich minderwertig, ist still und gehorsam. Es ist ein extrem "pflegeleichtes" Kind, das keine Probleme macht.
    Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Keine Lebensfreude, häufig Beziehungsstörungen, kann nicht "nein" sagen und kann keine Veränderungen eingehen. Gnadenlose Selbstverurteilung.

  • Das "Maskottchen" überspielt die Spannungen in der Familie durch fröhliches Herumkaspern. Es tut alles, um Lachen oder Aufmerksamkeit hervorzurufen, vielfach auch nur um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Wirkliche Gefühle kann es nicht zeigen, diese werden unterdrückt.
    Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Kann Stress nicht ertragen, lebt eng an der Grenze zum Hysterischen. Sucht sich "Beschützerpersönlichkeiten" als Partner. Ständig auf der Suche nach Anerkennung und Bestätigung.

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Erwachsene Kinder von Alkoholkranken

Erwachsene Kinder von Alkoholkranken tragen meist die schmerzlichen Gefühle aus der Vergangenheit in sich. Sie neigen zum Perfektionismus oder kümmern sich bis zur Selbstaufgabe um andere. Gerade in Partnerbeziehungen kommen diese Probleme zum Tragen.  Sie suchen Nähe und finden sie nicht, da sie meist Partner wählen, die selbst abhängig, unerreichbar oder nicht bindungsfähig sind. Sie erleben immer wieder, dass sie allein gelassen werden und fühlen sich überfordert, wie in ihrer eigenen Kindheit. Diese Erwachsenen sind selbst hochgefährdet, in eine Abhängigkeit zu geraten, da sie es nicht anders kennengelernt haben, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

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